ESG

2026: Die neue Realität des Lieferkettenmanagements – auch ohne gesetzlichen Druck

21. Nov. 2025

Globale Lieferketten stehen 2026 unter enormem Druck, denn die Herausforderungen für Unternehmen wachsen schneller als die gesetzlichen Vorgaben. Während derzeit noch über die finale Ausgestaltung der CSDDD oder nationaler Sorgfaltspflichten diskutiert wird (Stand November 2025), entstehen Risiken längst an anderer Stelle: durch Cyberangriffe, geopolitische Spannungen, Naturkatastrophen, Lieferengpässe und steigende Transparenzanforderungen. 

Die Datenlage ist klar: Störungen nehmen massiv zu, Partner fordern mehr Nachweise, Versicherer erhöhen die Prämien und internationale Regeln gelten zunehmend auch für europäische Unternehmen – unabhängig davon, ob sie direkt unter das LkSG oder die CSDDD fallen. Unternehmen, die ihre Lieferanten heute nicht strukturiert tracken, Risiken bewerten oder ESG-Daten erheben, geraten schnell ins Hintertreffen. 

Gleichzeitig eröffnen sich Chancen. Denn wer Transparenz schafft, Risikoscores nutzt und Lieferanten aktiv einbindet, erhöht die Resilienz der eigenen Supply Chain und sichert sich einen handfesten Wettbewerbsvorteil. 

Dieses Umfeld macht eines deutlich: Handeln ist keine Frage der Regulierung mehr, sondern entscheidend für Stabilität, Wirtschaftlichkeit und Marktposition. Der folgende Artikel zeigt, warum die Bedrohungslage 2026 neue Maßstäbe setzt, weshalb Unternehmen, die nicht direkt verpflichtet sind, aktiv werden müssen – und wie modernes Lieferkettenmanagement zu mehr Sicherheit, Effizienz und Zukunftsfähigkeit führt.


 

Die Bedrohungslage: Warum Lieferketten heute verletzlicher sind als je zuvor


Globale Lieferketten gerieten 2025 so stark unter Druck wie selten zuvor. Während geopolitische Spannungen, Handelsbarrieren und wirtschaftliche Unsicherheiten bereits für Unruhe sorgten, stiegen gleichzeitig die technologischen Risiken und klimabedingten Störungen rasant an. Die Datenlage aus internationalen Analysen zeigt ein klares Muster: Lieferketten werden komplexer, fragiler und deutlich anfälliger für externe Schocks. Besonders alarmierend ist, dass sich viele dieser Risiken parallel verstärken und dadurch unmittelbare Auswirkungen auf Kosten, Stabilität und Versorgungssicherheit haben.

Die wichtigsten Entwicklungen im Überblick:

  • 10,6 % aller global erfassten Cyberbedrohungen richten sich direkt oder indirekt gegen Lieferketten (ENISA Threat Landscape, 2025)
  • 29 % der Manager berichten von Cyberangriffen in ihrer eigenen Lieferkette in den vergangenen Monaten (The Guardian / Manager Survey, 2025)
  • Bis zu 12 % potenzieller BIP-Verlust durch aggressive Reshoring-Strategien und geopolitische Fragmentierung (OECD Economic Outlook, 2025)
  • +38 % mehr Lieferkettenunterbrechungen im Jahresvergleich (Resilinc EventWatch, 2024)
  • 6. Jahr in Folge sind Fabrikbrände häufigste Ursache von Störungen (Resilinc EventWatch, 2024)
  • +119 % Zunahme extremer Wetterereignisse, etwa Überschwemmungen oder Hitzestress in Produktionsregionen (Resilinc EventWatch, 2024)


 

Warum Unternehmen jetzt handeln müssen – auch ohne CSDDD oder LkSG


Auch wenn einzelne regulatorische Vorgaben wie das deutsche LkSG entschärft oder die CSDDD zeitlich verschoben werden, entsteht für Unternehmen ein anderes, weit stärkeres Spannungsfeld: Der Markt professionalisiert sich schneller als die Gesetzgebung. 

Abnehmer, Investoren, Banken und internationale Partner erwarten heute Transparenz, Risikokontrolle und ESG-konforme Prozesse, lange bevor staatliche Vorgaben verpflichtend werden. Der Druck verlagert sich damit von einer gesetzlichen Mindestanforderung zu einem operativen und strategischen „Must-have“, das entscheidet, ob Unternehmen weiterhin konkurrenzfähig bleiben, Zugang zu Märkten erhalten oder stabile Lieferbeziehungen sichern können.

Im Kern wirken dabei drei große Kräfte – und sie treffen nahezu jedes Unternehmen, unabhängig von Größe, Branche oder Reportingpflicht.

 

1. Markt- und Partneranforderungen

Großkunden wie Siemens, BMW und BASF sowie internationale OEMs haben ihre Einkaufs- und Lieferantenanforderungen in den letzten zwei Jahren massiv erweitert. Sie verlangen heute von ihren Zulieferern:

  • Belastbare ESG-Daten (z. B. Umwelt- & Sozialkennzahlen)
  • Strukturierte Risikoanalysen entlang der gesamten Lieferkette
  • Produkt- oder Standortbezogene Emissionsnachweise
  • Compliance- und Due-Diligence-Nachweise
  • Auditfähige Lieferantendokumentation inklusive Nachweise und Zertifikate

Diese Anforderungen entstehen, weil Unternehmen entlang globaler Wertschöpfungsketten selbst immer strengeren Erwartungen unterliegen, sowohl durch internationale Regulatorik als auch durch Investoren, Branchenstandards und Nachhaltigkeitsratings. Großkonzerne müssen heute nachweisen, wie stabil, nachhaltig und regelkonform ihre Lieferketten sind, und geben diese Anforderungen konsequent an ihre Zulieferer weiter. Dadurch ergeben sich klare Folgen: Lieferanten, die keine strukturierten Daten, Transparenz oder dokumentierte Maßnahmen vorweisen können, gelten als erhöhtes Risiko und verlieren an Attraktivität. 

“In der Praxis führt das dazu, dass Unternehmen ohne belastbare ESG- und Lieferketteninformationen zunehmend von Ausschreibungen ausgeschlossen werden, Partnerschaften verlieren oder nicht mehr neu gelistet werden. Und das nicht aufgrund gesetzlicher Vorgaben, sondern weil der Markt höhere Standards setzt als die Regulierung.” – Julian Göbel, Chief Sustainability Manager & Managing Director, Envoria

 

2. Versicherungen und Finanzierungskosten

Neben Markt- und Partneranforderungen spielt auch die Finanz- und Versicherungsbranche bei der Bewertung von Lieferkettenrisiken eine immer wichtigere Rolle. Klimabedingte Schäden, geopolitische Spannungen und globale Produktionsausfälle führen dazu, dass Versicherer Risiken stärker bepreisen und Banken ESG-Faktoren systematisch in ihre Kreditentscheidungen integrieren. Unternehmen stehen damit unter Druck, ihre Lieferkette nicht nur nachhaltig, sondern auch nachweislich kontrollierbar zu gestalten.

Die wirtschaftliche Ausgangslage zeigt, wie stark die Belastung bereits heute ist: Naturkatastrophen verursachten laut Munich Re im Jahr 2024

  • 140 Mrd. USD versicherte Schäden
  • und über 320 Mrd. USD Gesamtschäden.

Diese enormen Schadenssummen führen zu einer Anpassung der Risikomodelle in der Versicherungsbranche. Die Folgen sind branchenübergreifend spürbar. Versicherer reagieren zunehmend mit:

  • Steigenden Prämien, insbesondere für Unternehmen mit hohem Expositionsrisiko oder komplexen globalen Lieferketten
  • Geringerer Deckung, sofern ein Unternehmen keine klaren Risikominderungsmaßnahmen dokumentieren kann
  • Risikoaufschlägen bei fehlender Transparenz, etwa wenn Lieferanteninformationen unvollständig sind oder keine belastbaren ESG-Daten vorliegen

Für Unternehmen bedeutet das: Fehlende oder unzureichend dokumentierte Lieferkettenprozesse erhöhen nicht nur das operative Risiko, sondern schlagen unmittelbar auf die finanziellen Aufwendungen für Versicherungen und Finanzierung um. Umgekehrt profitieren Unternehmen mit klar dokumentierten Risiken, strukturierten Lieferantenbewertungen und belastbaren ESG-Daten von besseren Konditionen, sowohl bei Versicherungen als auch bei Banken, die ESG-Kriterien zunehmend in ihre Risikomodelle integrieren.

 

3. Indirekte Auswirkungen internationaler Regulierungen auf europäische Unternehmen

Während europäische Regelwerke wie CSDDD oder LkSG derzeit noch verhandelt oder angepasst werden, schreitet die globale Regulierung mit hohem Tempo voran. Viele Länder koppeln Marktzugang, Importrechte oder Finanzierungsfähigkeit inzwischen direkt an nachvollziehbare Lieferketten- und ESG-Daten. Dadurch geraten europäische Unternehmen zunehmend unter Druck. Nicht, weil sie selbst unmittelbar betroffen sind, sondern weil ihre Kunden, Handelspartner oder Märkte strenge Vorgaben erfüllen müssen. Die Folge: ESG-Transparenz und Datenlieferfähigkeit werden zu verpflichtenden Voraussetzungen, um international wettbewerbsfähig zu bleiben.

Besonders relevant sind 2025 und 2026 folgende Regelungen, die Unternehmen in Deutschland und Europa indirekt, aber sehr konkret treffen können:

  • EUDR (EU-Entwaldungsverordnung, vsl. ab Ende 2025, ggf. jedoch erst in 2026): Verpflichtende Geolokalisierung, Herkunftsnachweise und Risikobewertungen für Rohstoffe wie Holz, Kaffee, Kakao, Rind, Soja oder Kautschuk
  • CBAM (Carbon Border Adjustment Mechanism, ab 2026 vollständig verpflichtend): Erfassung und Meldung produktbezogener CO₂-Emissionen für Importe; betrifft auch Zulieferer, die Vorprodukte an CBAM-pflichtige Unternehmen liefern
  • Indien – SEBI BRSR Core: Umfassende Offenlegung der gesamten Lieferkette, einschließlich ausländischer Zulieferer; europäische Unternehmen müssen ESG- und Risikodaten bereitstellen, um gelistet zu bleiben
  • USA – UFLPA (Uyghur Forced Labor Prevention Act): Importverbote ohne lückenlose Dokumentation der Lieferkette zur Vermeidung von Zwangsarbeit; gilt faktisch für alle Exporte in die USA
  • Japan (verpflichtend ab FY 2025): Offenlegung klimabezogener Finanz- und Risikodaten gemäß TCFD-Standards, die auch Zuliefernetzwerke betreffen
  • Australien – Climate-Related Financial Disclosure Regime: Fokus auf klimabezogene Reportingpflichten, die zunehmend in Beschaffungsprozesse integriert werden
  • Kanada – Fighting Against Forced Labour and Child Labour in Supply Chains Act: Strenge Berichtspflichten zu Arbeitsbedingungen in globalen Lieferketten, die auch europäische Lieferanten einschließen

Die zentrale Konsequenz: Auch Unternehmen, die selbst nicht direkt unter CSDDD oder LkSG fallen, müssen dieselbe Datenqualität und Transparenz liefern – weil ihre Kunden in anderen Ländern diese Nachweise gesetzlich benötigen. Wer diese Informationen nicht bereitstellen kann, verliert Marktzugang, Exportfähigkeit oder bestehende Geschäftsbeziehungen.


 

Resiliente Lieferketten aufbauen: Was Unternehmen jetzt tun sollten


Angesichts zunehmender globaler Risiken, steigender Transparenzanforderungen und wachsender Abhängigkeiten wird der Aufbau einer resilienten Lieferkette zu einem strategischen Kernthema. Unternehmen, die ihre Lieferanten systematisch erfassen, Risiken nachvollziehbar bewerten und Prozesse digital dokumentieren, profitieren von mehr Sicherheit, geringeren Störanfälligkeiten und einem klaren Zeit- und Wettbewerbsvorteil. Entscheidend ist dabei, nicht nur Daten zu sammeln, sondern Strukturen zu schaffen, die kontinuierliche Verbesserung und belastbare Nachweise ermöglichen.

Der Aufbau einer resilienten Supply Chain umfasst drei zentrale Schritte:

 

1. Lieferanten-Transparenz schaffen

Transparenz ist die Grundlage jeder wirksamen Risiko- oder ESG-Bewertung. Ohne klaren Überblick über die eigene Lieferkette, inklusive aller relevanten Datenpunkte, bleibt Risikosteuerung reaktiv, aufwendig und fehleranfällig. Unternehmen sollten deshalb systematisch erfassen:

  • Standorte, Branchen, Tier-Level (z. B. direkte vs. indirekte Lieferanten, kritische Regionen)
  • Geopolitische Risiken (politische Instabilität, Handelsbarrieren, Sanktionen, etc.)
  • Nachhaltigkeitsdaten (Energieverbrauch, Emissionen, soziale Standards, Abfallmanagement, etc.)
  • Zertifikate & Nachweise (ISO-Standards, Auditberichte, Code-of-Conduct-Bestätigungen, etc.)

Je umfassender und konsistenter diese Informationen gepflegt werden, desto leichter lassen sich potenzielle Schwachstellen identifizieren, wie etwa Lieferanten in Hochrisikoregionen oder solche mit fehlenden ESG-Nachweisen. Transparenz ermöglicht außerdem eine schnellere Reaktion im Krisenfall. Unternehmen wissen, welcher Lieferant betroffen ist, welche Produkte gefährdet sind und welche Alternativen verfügbar sind.

 

2. Risikoscores vergeben

Auf Basis der gesammelten Daten sollten Unternehmen Risikoscores entwickeln, die eine objektive und vergleichbare Bewertung der Lieferanten ermöglichen. Ein Score fungiert dabei als „Single Source of Truth“: Er zeigt auf einen Blick, wie hoch das Risiko ist und wo Handlungsbedarf besteht. Ein Score bewertet typischerweise:

  • Länder- und Branchenrisiken (z. B. politische Instabilität, Arbeitsrechtslage, Klimarisiken)
  • ESG-Standards (Umweltleistung, soziale Verantwortung, Governance-Strukturen, etc.)
  • Arbeitsbedingungen (Arbeitsschutz, Sozialstandards, Einhaltung von Menschenrechten, etc.)
  • Emissionsdaten (Scope-1/2/3-Werte, Dekarbonisierungsstrategien, Intensität pro Produkt, o.ä.)
  • Compliance-Reifegrad (Dokumentation, Auditberichte, Managementsysteme, Code-of-Conduct-Compliance, etc.)

Die ermittelten Risk-Scores ermöglichen nicht nur Vergleiche zwischen Lieferanten, Regionen und Warengruppen, sondern auch die Priorisierung von Maßnahmen (z. B. Fokus auf Hochrisikolieferanten) und die Steuerung von Einkauf, Nachhaltigkeit, Risiko und Reporting. Damit werden Risikobewertungen nicht mehr subjektiv getroffen, sondern datenbasiert, nachvollziehbar und auditfähig. Der Score dient außerdem als Kommunikationsgrundlage für Gespräche mit Lieferanten und legt damit klare Erwartungen fest.

 

3. Kontinuierliche Verbesserung ermöglichen

Nachhaltiges Lieferkettenmanagement funktioniert nur, wenn Lieferanten aktiv eingebunden werden und die Möglichkeit erhalten, ihre Leistung und damit ihren eigenen Risikoscore kontinuierlich zu verbessern. Transparenz ist kein Selbstzweck; sie soll vielmehr Entwicklung fördern, Risiken reduzieren und gemeinsame Standards stärken.

Lieferanten sollten daher die Chance erhalten, folgende Maßnahmen umzusetzen:

  • Daten nachreichen (z. B. Emissionswerte, Zertifikate, Standortinformationen)
  • Verbesserungen dokumentieren (neue Prozesse, Schulungen, Optimierungsmaßnahmen, etc.)
  • Zertifikate einreichen (ISO 14001, ISO 45001, SA8000, Energiemanagement usw.)
  • Maßnahmen nachweisen (z. B. CO₂-Reduktionen, Schutzmaßnahmen, Sozialprogramme)

Dieser Ansatz stärkt nicht nur einzelne Lieferanten, sondern verbessert auch die gesamte Lieferkette. Unternehmen profitieren von stabileren Partnerschaften, geringeren Risiken und größerer Datentiefe. Gleichzeitig kann ein positiver Wettbewerb unter den Lieferanten entstehen: Wer sich verbessert und einen positiven Risk Score aufweist, wird zum bevorzugten Partner.

💡Tipp: Lernen Sie mehr zu diesem Thema in unserem Artikel “Wie Lieferanten ihre Risikoscores verbessern können”.


 

Fazit: Handeln, bevor Risiken Realität werden


Die Entwicklungen der vergangenen Jahre machen deutlich, dass Lieferkettenrisiken heute weit über reine Compliance-Fragen hinausgehen. Cyberangriffe, klimabedingte Störungen, geopolitische Unsicherheiten und internationale Regulierungen wirken direkt auf die operative Stabilität und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit von Unternehmen. Gleichzeitig erhöhen Marktpartner, Versicherer und Finanzinstitutionen ihre Anforderungen an Transparenz und datenbasierte Steuerung deutlich schneller als die Gesetzgebung.

Unternehmen, die ihre Lieferkette – mit Softwareanbietern wie Envoria – strukturiert erfassen, Risiken bewerten und systematisch dokumentieren, gewinnen damit nicht nur Sicherheit. Sie schaffen die Grundlage für wettbewerbsfähige Preise, stabile Geschäftsbeziehungen und einen messbaren Zeitvorteil in einer zunehmend datengetriebenen Wirtschaft. Wer diesen Schritt frühzeitig geht, stärkt nicht nur die eigene Position, sondern wird zu einem verlässlichen Partner in einem globalen Markt, der Stabilität und Nachweisfähigkeit zunehmend zur Voraussetzung macht.

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