Während die Umsetzung der CSRD in Europa durch politische Diskussionen rund um die Omnibus-Verordnung ins Stocken gerät, treiben andere Länder weltweit ihre ESG-Regularien mit Nachdruck voran. China, Brasilien, Kanada, Australien und viele weitere Staaten setzen neue Berichtspflichten um – oft auf Basis der ISSB-Standards – und machen ESG-Reporting zunehmend zu einem internationalen Mindeststandard.
Für international tätige Unternehmen aus der EU entsteht hier ein akuter Handlungsbedarf: Lokale Tochterfirmen und Niederlassungen sind künftig verpflichtet, nach landesspezifischen ESG-Regularien zu berichten – unabhängig davon, wie sich die regulatorischen Anforderungen auf EU-Ebene entwickeln und ob die europäische CSRD bei ihnen greift oder nicht.
Damit sind besonders global agierende Unternehmen gezwungen, sich jetzt mit verschiedenen ESG-Vorgaben auseinanderzusetzen – und ihre Daten-, Prozess- und Reportinglandschaft entsprechend anzupassen.

Überblick zu verabschiedeten ESG-Regularien weltweit
Während Europa durch den aktuellen Omnibus-Streit und die schleppende Umsetzung der CSRD/ESRS im regulatorischen Niemandsland steckt, treiben andere Länder ihre ESG-Berichtspflichten aktiv voran. Besonders außerhalb der EU sind bereits mehrere nationale Standards verabschiedet worden, die auch für deutsche, italienische, niederländische und all die anderen europäischen Unternehmen mit Tochtergesellschaften, Niederlassungen oder Geschäftsaktivitäten vor Ort erhebliche Auswirkungen haben. Im Folgenden ein Überblick über die wichtigsten verabschiedeten ESG-Regularien:
Indien – Business Responsibility and Sustainability Report (BRSR)
Indien hat mit dem Business Responsibility and Sustainability Report (BRSR) einen nationalen ESG-Standard verabschiedet, der für die Top 1.000 börsennotierten Unternehmen verpflichtend ist. Der Standard ist GRI-orientiert, mit einer teilweisen Annäherung an die ISSB-Vorgaben. Berichtet werden müssen ESG-relevante Informationen zum Geschäftsjahr 2022–23, wobei als Größenkriterium die Marktkapitalisierung an den Börsen NSE/BSE zählt. Für Unternehmen mit börsennotierten indischen Tochtergesellschaften ergibt sich daraus eine lokale Berichtspflicht.
Singapur – Sustainability Reporting Requirements (ACRA/SGX)
Singapur hat die Sustainability Reporting Requirements verabschiedet und orientiert sich dabei an ISSB (IFRS S1/S2). Ab 2025 sind zunächst an der SGX gelistete Unternehmen berichtspflichtig, ab 2027 folgen große, nicht-gelistete Unternehmen. Als Kriterium gelten Kapitalmarktorientierung und Umsatzgrößen. Die Regelung fordert insbesondere die Offenlegung von Scope-1- und Scope-2-Emissionen. Für europäische Unternehmen mit Beteiligungen oder Niederlassungen in Singapur bedeutet das: ESG-Daten müssen ab spätestens 2025 lokal nach ISSB-Standards berichtet werden.
Kanada – Canadian Sustainability Disclosure Standards (CSDS)
In Kanada sind die Canadian Sustainability Disclosure Standards (CSDS) verabschiedet worden. Unternehmen können dabei freiwillig entscheiden, ob sie die Standards anwenden. Ab 1. Januar 2025 können Berichte eingereicht werden. Die CSDS sind ISSB-basiert und bieten Unternehmen Übergangsfristen, um sich an die neuen Vorgaben heranzutasten. Relevant ist die Regelung vor allem für Unternehmen, die über ESG-Offenlegung Vorteile bei Finanzierung und Kapitalmarktaktivitäten erzielen möchten – ein Trend, der sich auch auf internationale Geschäftspartner und Tochterfirmen europäischer Konzerne in Kanada auswirkt.
Australien – Australian Sustainability Reporting Standards (ASRS)
Australien hat mit den Australian Sustainability Reporting Standards (ASRS) einen weiteren ISSB-kompatiblen Standard verabschiedet. Berichtsstart ist ab dem 1. Januar 2025 für Unternehmen mit einem Umsatz von über 500 Mio. AUD. Die ASRS verpflichten zur Offenlegung klimabezogener Finanzinformationen. Betroffen sind große Unternehmen und börsennotierte Firmen. Für deutsche Unternehmen und euroäische Businnesses mit australischen Niederlassungen könnte hier ebenfalls eine lokale ESG-Berichtspflicht entstehen.
Mexiko – Normas de Información de Sostenibilidad
Mexiko hat seine Normas de Información de Sostenibilidad verabschiedet, die eine verpflichtende ESG-Berichterstattung für private Unternehmen, die Finanzberichte veröffentlichen, einführen. Ab dem 1. Januar 2025 müssen betroffene Firmen ihre ESG-Informationen nach den mexikanischen Standards offenlegen. Die Regelung ist eigenständig, jedoch ISSB-inspiriert, mit einem mittleren Grad an internationaler Ähnlichkeit. Für Unternehmen mit privaten Tochterfirmen in Mexiko bedeutet das: ein zusätzlicher ESG-Berichtsprozess außerhalb der eventuellen CSRD-Berichtspflicht in Deutschland.
Japan – SSBJ Sustainability Disclosure Standards
Japan hat mit den SSBJ Sustainability Disclosure Standards eigene ESG-Berichtspflichten verabschiedet. Diese orientieren sich eng an ISSB IFRS S1 und S2. Ab dem Geschäftsjahr 2025 ist die Anwendung zunächst freiwillig, ab 2027 wird sie verpflichtend eingeführt – dabei sind börsennotierte Unternehmen am Prime Market der TSE mit einer Marktkapitalisierung von über 3 Billionen JPY (ca. 18 Mrd. €) betroffen. Für Unternehmen in der EU mit börsennotierten Beteiligungen in Japan oder enger Kapitalmarktverflechtung ergeben sich dadurch neue Offenlegungspflichten.
Türkei – SPK-ISSB Reporting Requirement (2024)
Die Türkei hat mit dem SPK-ISSB Reporting Requirement ebenfalls ESG-Berichtspflichten verabschiedet. Ab dem 1. Januar 2024 sind kapitalmarktorientierte Unternehmen mit Umsätzen von über 500 Mio. TRY, Bilanzen über 250 Mio. TRY oder mehr als 250 Mitarbeitern verpflichtet, ESG-Informationen offenzulegen. Der Standard ist TCFD- und ISSB-basiert und betrifft neben inländischen auch ausländische Unternehmen mit Tochterfirmen oder Niederlassungen in der Türkei. Die frühzeitige Einführung macht die Türkei zu einem Vorreiter in der Region.

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ESG-Regularien in Entwicklung und Testphase weltweit
Neben den bereits verabschiedeten ESG-Berichtspflichten arbeiten zahlreiche Länder aktuell an eigenen Nachhaltigkeits-Reporting-Standards. Viele davon orientieren sich an den ISSB-Vorgaben (IFRS S1/S2) und setzen ebenfalls Schwerpunkte bei der Offenlegung klimabezogener Finanzinformationen. Für international agierende deutsche Unternehmen bzw. alle europäischen Unternehmen ist es wichtig, diese Entwicklungen frühzeitig im Blick zu behalten – denn die Einführungstermine stehen vielerorts bereits fest.
China – CSRC- und SSE-Entwürfe
China plant die Einführung verpflichtender ESG-Standards für börsennotierte Unternehmen und große Finanzinstitutionen. Zwei Entwürfe liegen bereits vor: Der CSRC Draft für kapitalmarktorientierte Unternehmen und der SSE ESG Disclosure Standard für Firmen an der Shanghai Stock Exchange. Beide orientieren sich eng an den ISSB-Standards und TCFD-Empfehlungen. Geplant ist die verpflichtende Anwendung ab 2025. Betroffen sind zunächst Unternehmen im Prime Segment sowie große Finanzhäuser. Für Firmen mit börsennotierten Tochtergesellschaften in China oder Kapitalmarktaktivitäten vor Ort entsteht hier zeitnah Berichtspflicht.
Brasilien – CVM-ISSB Reporting Requirement
Brasilien arbeitet an einem verpflichtenden ESG-Reporting für börsennotierte Unternehmen, das sich an den IFRS S1 und S2 orientiert. Die CVM-ISSB Reporting Requirements sollen ab dem Geschäftsjahr 2026 wirksam werden. Betroffen sind alle kapitalmarktorientierten Unternehmen an der Börse B3. Unternehmen in Deutschland, Italien, Österreich, den Niederlanden, und allen anderen europäischen Ländern, mit börsennotierten Beteiligungen oder Kapitalmarktverflechtung in Brasilien sollten sich frühzeitig auf die neuen Offenlegungsanforderungen einstellen.
Vereinigtes Königreich – UK SDR/ISSB Reporting
Das Vereinigte Königreich plant mit den UK Sustainability Disclosure Requirements (SDR) eine ISSB-basierte ESG-Berichtspflicht für große kapitalmarktorientierte Unternehmen und Finanzinstitute. Derzeit befindet sich der Standard in der Konsultationsphase, die Einführung ist für 2025/2026 angekündigt. Zentrale Inhalte sind klimabezogene Risiken, Scope-1- bis Scope-3-Emissionen sowie Governance-Angaben. Für Unternehmen mit britischen Tochtergesellschaften oder Kapitalmarktaktivitäten ist der SDR frühzeitig relevant.
Nigeria – ISSB-Alignment Disclosure Standard
Nigeria testet seit 2024 einen ISSB-Alignment Disclosure Standard, der sich an IFRS S1 und S2 anlehnt. Die verpflichtende Anwendung ist derzeit noch nicht final terminiert, erste Pilotberichte werden bereits erstellt. Betroffen sind große, kapitalmarktorientierte Unternehmen und Finanzinstitute. Europäische Firmen mit Tochtergesellschaften in Nigeria sollten die Entwicklung aktiv beobachten, da eine baldige Verpflichtung wahrscheinlich ist.
USA hat ESG-Berichtspflichten vorerst gestoppt
Anders als viele andere Länder hatte die US-Börsenaufsicht SEC ambitionierte Pläne für eine umfassende ESG-Berichtspflicht für börsennotierte Unternehmen, insbesondere im Bereich klimabezogener Finanzinformationen. Die im Entwurf vorliegende SEC Climate Disclosure Rule sollte ursprünglich ab 2025 verpflichtend werden. Nach massiver Kritik aus Wirtschaft und Politik sowie rechtlichen Anfechtungen wurde der Regelungsprozess jedoch auf unbestimmte Zeit gestoppt.
Für Unternehmen mit US-Tochtergesellschaften oder Börsennotierungen bedeutet das aktuell zwar eine Atempause – jedoch bleibt ESG-Reporting auch in den USA ein relevantes Thema: Viele Investoren und Rating-Agenturen verlangen weiterhin freiwillige ESG-Offenlegungen, oft nach ISSB-, TCFD- oder GRI-Standards. Zudem könnten einzelne US-Bundesstaaten eigene Vorgaben etablieren.
Mögliche Auswirkungen auf Unternehmen mit internationalem Geschäft
Die internationalen ESG-Regularien haben direkte Konsequenzen für europäische Unternehmen mit Tochtergesellschaften, Niederlassungen und Geschäftspartnern in betroffenen Ländern. Wir haben fünf zentrale Sachverhalte und ihre potenziellen Auswirkungen übersichtlich für Sie zusammengestellt:
Sachverhalt | Potenzielle Auswirkungen |
1. Berichtspflicht für lokale Tochtergesellschaften |
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2. Konsolidierung in der Konzernberichterstattung |
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3. Reputations- und Lizenzrisiken |
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4. Finanzierung und Investorenkommunikation |
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5. Notwendigkeit der Standardangleichung (CSRD vs. ISSB) |
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Fiktives Beispiel: Deutsches Unternehmen mit Tochtergesellschaft in China
Um die praktischen Auswirkungen internationaler ESG-Regularien besser greifbar zu machen, zeigt das folgende fiktive Beispiel, wie ein deutsches Unternehmen mit einer Tochtergesellschaft in China von aktuellen und künftigen ESG-Pflichten betroffen sein könnte.
Beispielhaftes Unternehmensprofil
Tochtergesellschaft in China | Muster GmbH |
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Prüfung der ESG-Berichtspflicht
1. Direkte Betroffenheit über Kapitalmarktorientierung
Ist die Tochtergesellschaft kapitalmarktorientiert (z. B. IPO oder Anleiheemission an einer chinesischen Börse)?
Antwort: Nein
Folge: Kein direkter Zwang durch das chinesische CSDS (derzeit)
2. Direkte Betroffenheit durch ESG-Sonderregeln
Fällt die Tochtergesellschaft unter chinesische ESG-Pflichten aufgrund von Branchenspezifikationen oder Umweltauflagen?
Antwort: Ja, da die Chemiebranche zu den regulierten Sektoren zählt.
Folge: Potenzielle Berichtspflicht
Regulierte Sektoren laut CSDS:
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3. Indirekte Betroffenheit über Lieferkettengesetze
Muss die Tochter ESG-Daten liefern, weil sie Teil der Lieferkette von ESG-pflichtigen Unternehmen ist?
Antwort: Ja, möglich.
Folge: Die China-Tochter könnte ESG-Pflichten erfüllen müssen, um Kunden wie chinesische Automobilhersteller zu bedienen, die selbst unter CSDS berichten müssen.
Das Beispiel verdeutlicht, dass ESG-Berichtspflichten nicht nur kapitalmarktorientierte Unternehmen direkt betreffen. Auch Tochtergesellschaften in regulierten Branchen oder Unternehmen, die in ESG-relevanten Lieferketten eingebunden sind, können unter lokalen Offenlegungspflichten stehen. Für international tätige Konzerne bedeutet das, unterschiedliche Regularien im Blick zu behalten, die ESG-Organisation weltweit zu harmonisieren und mögliche Berichtspflichten vorausschauend in die Konzernstruktur zu integrieren.
Was Unternehmen jetzt tun müssen
Die wachsenden ESG-Pflichten aus internationalen Märkten wie China, Indien und Mexiko erhöhen den Handlungsdruck für Unternehmen mit internationalen Beteiligungen. Um Risiken zu minimieren und Effizienzverluste im Reporting zu vermeiden, sollten Unternehmen folgende Maßnahmen priorisieren:
- Überblick über relevante ESG-Regularien verschaffen
Systematisch erfassen, in welchen Ländern Tochtergesellschaften oder Joint Ventures bestehen und welche ESG-Pflichten dort gelten oder angekündigt sind. Nutzen Sie hierfür gerne Envorias Excel Template zur Übersicht von internationalen ESG Regularien. - Standards vergleichen und Anforderungen abgleichen
Unterschiede und Überschneidungen zwischen CSRD, ISSB, SEC-Vorgaben und lokalen Standards wie CSDS in China analysieren. - ESG-Kennzahlen und Berichtspflichten mappen
Ein Mapping aufbauen, das zeigt, welche Kennzahlen für welche Standards erforderlich sind und wie bestehende Datenquellen genutzt oder erweitert werden können. - Globale ESG-Datenstrukturen etablieren
Einheitliche Datenmodelle und IT-Systeme aufsetzen, um ESG-Daten international konsistent erfassen, prüfen und konsolidieren zu können. - Konzernweite ESG-Berichtsprozesse definieren und harmonisieren
Klare Rollen, Verantwortlichkeiten und Zeitpläne für die Datenerhebung und Berichterstattung festlegen – sowohl für die CSRD als auch für lokale Berichtsstandards.
Fazit: Globale ESG-Berichtspflichten brauchen ein strategisches Gesamtkonzept
Die ESG-Berichtspflicht endet für deutsche Unternehmen und alle anderen europäischen Businneses längst nicht mehr an den Landesgrenzen oder europäischen Grenzen. Wer international tätig ist, muss globale Entwicklungen im Blick behalten und das eigene Reporting darauf ausrichten. Einzelne Maßnahmen reichen dabei nicht aus – gefragt ist ein integrierter Ansatz, der internationale Standards, lokale Anforderungen und die konzernweite ESG-Strategie miteinander verzahnt.
Je früher Unternehmen damit beginnen, Transparenz über ihre weltweiten ESG-Pflichten herzustellen, gloable ESG-Datenerhebungsstrukturen zu etablieren und Prozesse entsprechend auszurichten, desto besser lassen sich Risiken beherrschen, Aufwand reduzieren und Chancen im internationalen Wettbewerb nutzen.