ESG

Ist Beyond Value Chain Mitigation das neue Compensation?

22. Aug. 2025

Klimaneutralität und CO2-Kompensation waren lange Zeit die zentralen Instrumente für Unternehmen, um ihre Emissionen zu reduzieren oder auszugleichen. Doch angesichts steigender Anforderungen an Transparenz, Glaubwürdigkeit und vor allem an die Reduktion von Scope 3 Emissionen – also Emissionen entlang der gesamten Wertschöpfungskette – gewinnt ein neuer Ansatz immer mehr an Bedeutung: Beyond Value Chain Mitigation (BVCM).

Doch was genau verbirgt sich hinter Beyond Value Chain Mitigation? Und wird BVCM tatsächlich das neue Compensation, also der Ersatz für klassische Kompensation? Und wie passt das Schlagwort Insetting hier rein? Dieser Artikel geht auf die aktuelle Diskussion ein, erklärt die Grundlagen, vergleicht die Themen Offsetting, Insetting und BVCM und gibt Handlungsempfehlungen für Unternehmen, die ihre Klimastrategie zukunftsfähig gestalten wollen.


 

Die aktuelle Diskussion


Die Frage, ob Beyond Value Chain Mitigation (BVCM) das neue Compensation ist, gewinnt derzeit stark an Bedeutung – und das aus gutem Grund. Immer mehr Unternehmen stehen unter Druck, ihre Klimastrategien glaubwürdiger, wirksamer und zukunftsfähiger zu gestalten. Getrieben wird die Debatte von Nachhaltigkeitsexperten, Investoren mit Fokus auf ESG-Kriterien, NGOs sowie regulatorischen Initiativen, die mehr Transparenz und echte Reduktionen entlang der gesamten Wertschöpfungskette fordern.

Dabei zeigt sich, dass klassische Kompensation von Emissionen zunehmend hinterfragt wird. Offsetting, also der Kauf von Emissionszertifikaten zur Ausgleichung eigener Emissionen, wird oft als “Alibi-Maßnahme” wahrgenommen, die zwar Emissionen kompensiert, aber selten echte Reduktionen bewirkt. Kritiker bemängeln fehlende Transparenz, mangelnde Nachvollziehbarkeit und häufig fragwürdige Qualität der Projekte. Zudem fördert Offsetting allein kaum Veränderungen im eigenen Geschäftsmodell oder bei Partnern in der Lieferkette.

Vor diesem Hintergrund gewinnt das Thema Insetting an Relevanz. Insetting bezeichnet Klimaschutzmaßnahmen, die innerhalb der eigenen Wertschöpfungskette umgesetzt werden. Unternehmen investieren beispielsweise in nachhaltige Lieferanten, regenerative Landwirtschaft oder energieeffiziente Prozesse, um direkt an der Quelle Emissionen zu reduzieren. Insetting schließt somit eine wichtige Lücke zwischen klassischem Offsetting und weiterreichenden Maßnahmen, weil es direkte Verbesserungen in den eigenen Geschäftsprozessen ermöglicht.

Die bisherige Klimastrategie vieler Unternehmen bestand oft aus einer Kombination von Offsetting und Insetting. Doch gerade hier zeigt sich eine weitere Lücke – jene außerhalb der eigenen Wertschöpfungskette liegenden Emissionen, die durch klassische Maßnahmen schwer zu adressieren sind. Diese Lücke soll das Konzept der Beyond Value Chain Mitigation (BVCM) schließen. BVCM fokussiert sich auf echte, messbare Reduktionen und transformative Veränderungen außerhalb des direkten Unternehmens- und Zuliefererkreises. Dabei geht es nicht nur um den Kauf von Emissionsgutschriften, sondern um strategisch ausgewählte Projekte, deren Wirkung klar messbar ist und die langfristig begleitet werden.

Erste Vorreiter setzen bereits ambitionierte BVCM-Strategien um und leiten damit einen Paradigmenwechsel ein. Gleichzeitig wird der Begriff von vielen Unternehmen noch synonym zur klassischen Kompensation verwendet, was die Debatte mitunter verwässert.

Ob BVCM tatsächlich das „neue Compensation“ wird oder als ergänzender Baustein bestehen bleibt, wird die Praxis zeigen. Sicher ist jedoch: Die Diskussion verdeutlicht eine klare Forderung nach mehr Klimaverantwortung, Transparenz und nachhaltiger Wirkung – weg vom reinen Emissionsausgleich hin zu echten, langfristigen und umfassenden Veränderungen.


 

Offsetting vs. Insetting vs. Beyond Value Chain Mitigation


Offsetting – Ausgleich außerhalb der eigenen Wertschöpfung

Offsetting, oft auch als Carbon Compensation bezeichnet, umfasst den Ausgleich unvermeidbarer Emissionen durch den Kauf von Emissionszertifikaten, sogenannten Carbon Credits, oder die Unterstützung externer Klimaschutzprojekte, etwa Aufforstungsinitiativen oder erneuerbare Energieprojekte. Diese Projekte finden in der Regel außerhalb der eigenen Wertschöpfungskette statt. Der Ansatz kann kurzfristig helfen, Klimaneutralität zu erreichen, steht jedoch häufig in der Kritik: Die tatsächliche Wirkung vieler Projekte ist schwer überprüfbar, und dauerhafte Emissionsminderungen sind nicht immer garantiert.

Wenn Offsetting, dann mit einem Qualitätsanbieter wie unserem Partner senken – denn nur 16 % der CO₂-Zertifikate haben echte Klimawirkung. Senken sorgt mit ihren hervorragenden Beziehungen zu Projektentwicklern und Communities vor Ort sowie über 600 Prüfdatenpunkten dafür, dass Ihre Investition wirklich wirkt.

 

Insetting – Klimaschutz innerhalb der eigenen Wertschöpfung

Insetting verfolgt den gleichen Grundgedanken wie Offsetting, setzt jedoch innerhalb der eigenen Liefer- und Wertschöpfungskette an. Hier werden Maßnahmen direkt bei eigenen Standorten, Lieferanten oder Partnern umgesetzt, etwa durch die Umstellung von Produktionsprozessen auf erneuerbare Energien, die Einführung regenerativer Landwirtschaft oder Investitionen in energieeffiziente Technologien. Neben der Verbesserung der Klimabilanz stärken solche Projekte auch die Zusammenarbeit mit Partnern und steigern die Resilienz der gesamten Wertschöpfungskette.

 

Beyond Value Chain Mitigation – Wirkung über den eigenen Einflussbereich hinaus

Beyond Value Chain Mitigation bezeichnet freiwillige Maßnahmen, die über den direkten Unternehmens- und Zuliefererkreis hinausgehen und messbar zusätzlichen Klimanutzen erzeugen. Dazu zählen beispielsweise Technologietransfers in Entwicklungsländer, die Unterstützung von Partnern bei der Emissionsreduktion oder Investitionen in innovative Kreislaufwirtschaftskonzepte. Im Kern geht es darum, externe Klimaschutzprojekte nicht nur als reine „Carbon Credits“ zu betrachten, sondern strategisch auszuwählen, ihre Wirkung klar zu messen und sie langfristig zu begleiten. BVCM zielt damit auf echte Emissionsreduktionen und transformative Veränderungen – weit über die Möglichkeiten des reinen Offsettings hinaus.

 

Die drei Ansätze im Vergleich

Während Offsetting in erster Linie darauf abzielt, Emissionen durch externe Projekte auszugleichen, rücken mit Insetting und Beyond Value Chain Mitigation (BVCM) zunehmend Ansätze in den Fokus, die stärker auf tatsächliche Emissionsreduktionen setzen. Die folgende Tabelle zeigt, wie sich die drei Ansätze in Zielsetzung, Umsetzung und Wirkung unterscheiden.

Bereich

Carbon Offsetting

Carbon Insetting

Beyond Value Chain Mitigation (BVCM)

Ziel

Ausgleich von Emissionen durch externe Projekte

Reduktion oder Vermeidung von Emissionen innerhalb der eigenen Wertschöpfungskette

Echte, zusätzliche Emissionsreduktion außerhalb der eigenen Wertschöpfungskette

Ansatz

Kauf von Zertifikaten oder Unterstützung von Ausgleichsprojekten

Zusammenarbeit mit eigenen Lieferanten, Partnern oder Prozessen

Partnerschaften, Innovationen und groß angelegte Transformationsprojekte

Fokus

Kurzfristige CO₂-Neutralität

Nachhaltige Optimierung von Scope-1–3-Emissionen im eigenen System

Langfristige, systemische Veränderung in Branche und Gesellschaft

Glaubwürdigkeit

Teilweise kritisch aufgrund mangelnder Transparenz oder Überprüfbarkeit

Höher, da direkte Kontrolle und Nachvollziehbarkeit

Hoch, da transparente Auswahl, Monitoring und strategische Einbettung

Scope-3-Relevanz

Meist nicht oder nur indirekt berücksichtigt

Zentral, wenn Emissionen in der Lieferkette reduziert werden

Wesentlicher Schwerpunkt, um indirekte Emissionen bei Dritten zu mindern

Beispiele

Aufforstung in einem anderen Land, erneuerbare Energien-Projekte

Effizienzsteigerung bei Lieferanten, Umstellung auf nachhaltige Rohstoffe

Technologietransfer in Entwicklungsländer, großflächige Aufforstungs- oder Renaturierungsprogramme

 

 

Beispiele aus der Praxis schaffen Klarheit


Anhand typischer Praxisbeispiele lassen sich die Unterschiede zwischen klassischer Kompensation, Insetting und Beyond Value Chain Mitigation gut nachvollziehen. So erkennen Sie, wie sich die Ansätze in Wirkung, Umfang und langfristiger Bedeutung unterscheiden.

 

Klassische Praxisbeispiele


Für Carbon Offsetting (Compensation)

  • Aufforstungsprojekte in Südamerika: Ein Unternehmen erwirbt zertifizierte CO₂-Zertifikate aus großen Aufforstungsflächen, die nach Standardmethoden eine bestimmte Menge CO₂ binden. Der Ausgleich ist oft pauschal, ohne tiefergehende Kontrolle vor Ort oder Einfluss auf das Projektmanagement.
  • Finanzierung von Wasserkraft- oder Biogasanlagen in Entwicklungsländern: Unterstützung von erneuerbaren Energieprojekten, die Emissionen an anderer Stelle einsparen, ohne dass das Unternehmen selbst direkt eingebunden ist.
  • CO₂-Ausgleich für Dienstreisen: Zahlungen zur Kompensation von Flugemissionen, ohne die eigentlichen Reisegewohnheiten oder Geschäftsprozesse zu verändern.
     

Für Carbon Insetting

  • Lieferantenentwicklung: Ein Automobilhersteller arbeitet eng mit seinen Zulieferern zusammen, um deren Energieverbrauch zu senken, z. B. durch Umstieg auf erneuerbare Energien oder effizientere Produktionsmethoden.
  • Nachhaltige Rohstoffbeschaffung: Ein Textilunternehmen unterstützt Lieferanten beim Umstieg auf nachhaltige Fasern, z. B. Bio-Baumwolle oder recycelte Materialien.
  • Effizienzprogramme im eigenen Betrieb: Einführung von Maßnahmen zur Energieeinsparung und Abfallreduzierung in der eigenen Produktion oder bei der Logistik, wodurch direkte Scope-1- und Scope-2-Emissionen verringert werden.
     

Für Beyond Value Chain Mitigation (BVCM)

  • Technologietransfer in Entwicklungsländer: Ein Energieversorger fördert die Einführung energieeffizienter Technologien (z. B. sparsame Öfen in Haushalten) und misst die tatsächliche Emissionsreduktion vor Ort.
  • Carbon Removal Projekte: Unternehmen finanzieren direkte CO₂-Entfernungstechnologien wie Direct Air Capture, die langfristig CO₂ aus der Atmosphäre entfernen.
  • Innovationsfonds: Ein Konzern unterstützt Start-ups, die neue klimafreundliche Materialien oder Recyclingverfahren entwickeln und so die Emissionen in der gesamten Branche senken.


 

Ein Praxisbeispiel aus 3 Perspektiven: Aufforstungsprojekt in Südamerika


Offsetting-Weg

Ein Unternehmen kauft zertifizierte CO₂-Zertifikaten, die pauschal 10.000 t CO₂ kompensieren. Das Unternehmen investiert in externe Aufforstungsprojekte, ohne direkten Einfluss auf Umsetzung oder lokale Bedingungen.
 

Insetting-Weg

Ein Unternehmen arbeitet direkt mit lokalen Partnern oder eigenen Zulieferern vor Ort zusammen, um Aufforstungsmaßnahmen in der Lieferkette umzusetzen. Dabei werden gezielt Flächen renaturiert, die in direktem Zusammenhang mit den eigenen Rohstofflieferungen stehen, zum Beispiel Flächen, auf denen für das Unternehmen produzierte Rohstoffe angebaut werden. So werden Emissionen innerhalb der eigenen Wertschöpfungskette reduziert und ökologische Vorteile gefördert.
 

Beyond Value Chain Mitigation (BVCM)-Weg

Im konkreten Fall bedeutet dies eine langfristige Netto-CO₂-Bindung von 10.000 Tonnen über 20 Jahre, kombiniert mit der Förderung der biologischen Vielfalt. Dabei werden gezielte Maßnahmen zur Auswahl geeigneter Baumarten getroffen, der Biomassezuwachs wird jährlich mit modernster Technik wie Drohnen überwacht, und Biodiversitätsindikatoren aus Feldstudien fließen in die Bewertung ein. Zusätzlich sorgt das Projekt für soziale Mehrwerte, etwa durch die Schaffung von Arbeitsplätzen für lokale Aufforstungsteams, den Schutz wichtiger Wassereinzugsgebiete sowie Schulungsprogramme für die ansässigen Gemeinden. So schafft BVCM neben der Klimawirkung auch umfassende ökologische und soziale Nutzen, die weit über reine CO₂-Kompensation hinausgehen.


 

Warum reicht Carbon Compensation (Offsetting) allein nicht mehr aus?


Carbon Compensation – meist in Form von Offsetting – kann kurzfristig helfen, nicht vermeidbare Emissionen auszugleichen. Dennoch steht sie seit Jahren in der Kritik: Viele Ausgleichsprojekte sind schwer nachvollziehbar, ihre tatsächliche Klimawirkung ist oft unsicher und nicht immer dauerhaft gewährleistet. Einige Projekte verfehlen sogar die angestrebten Effekte oder werden nach wenigen Jahren wieder rückgängig gemacht – etwa, wenn aufgeforstete Flächen später wieder abgeholzt werden.

Ein weiteres Problem: Die Klassische Kompensation adressiert in der Regel nur die direkte Unternehmensbilanz (Scope 1 und 2) und blendet die oft deutlich größeren Scope-3-Emissionen aus. Dabei können diese entlang der Lieferkette bis zu 90 % des gesamten CO₂-Fußabdrucks ausmachen.

Hinzu kommt der steigende regulatorische Druck: Rahmenwerke wie die EU Taxonomie, die CSRD oder neue IFRS-Standards fordern zunehmend belastbare Nachweise für echte, nachhaltige Emissionsreduktionen entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Reines Offsetting erfüllt diese Anforderungen nicht – weshalb Unternehmen zunehmend auf Insetting und Beyond Value Chain Mitigation setzen.


 

Wie Envoria Unternehmen dabei unterstützt

Envoria bietet eine All-in-One-Software für ESG- und Finanzreporting, die Unternehmen ermöglicht, Beyond Value Chain Mitigation (BVCM) transparent, nachvollziehbar und auditierbar umzusetzen. Mit dem Emissionsmanagement Modul erfassen, analysieren und steuern Unternehmen Scope-3-Emissionen zuverlässig, während die Lieferkettenmanagement Software die Zusammenarbeit entlang der Wertschöpfungskette unterstützt. Mit den Strategie- und Risikomanagement Modulen lassen sich Klimaschutzmaßnahmen in die Unternehmensplanung integrieren. Zusätzlich sorgen das KPI-Management-Modul für die Einhaltung der CSRD-Vorgaben und das EU-Taxonomie-Modul für die regulatorische Konformität im Bereich nachhaltiger Finanzberichterstattung.

Alle Module zusammen machen BVCM, Insetting und Offsetting messbar und auditierbar, fördern die Transparenz für Stakeholder und Auditoren und ermöglichen eine ganzheitliche, glaubwürdige Klimastrategie über alle Unternehmensgrenzen hinweg.

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